Der Weg – Tag 9: Die Todra-Schlucht

Donnerstag, 1.11.2001: Am Morgen fühle ich mich wieder pudelwohl, alle Zipperlein sind vergessen. Ich genieße erst noch einmal den Blick auf die mächtige Kasbah Ait Arbi und genehmige mir ein kleines Frühstück mit Pfefferminztee und Fladenbrot. Punkt 8 Uhr hält ein klappriger Bus, der mich nach kurzer Fahrt in die Oasenstadt Tinerhir bringt. Ein kleiner Spaziergang führt mich zum Hotel Tombuctu und ich erkundige mich dort nach dem Preis für die Miete eines Fahrrades. Der Typ an der Rezeption nennt mir einen utopischen Preis, der mir gleich die Lust auf einen fairen Handel nimmt. Auf dem Weg zur verfallenen Kasbah über der Stadt spricht mich ein junger Mann an und bietet mir ein funktionsfähiges Mountainbike zu einem fairen Preis an, da erübrigt sich das Feilschen und ich schlage gleich zu. Ich radle zunächst ein Stück oberhalb der Todra-Oase und genieße vom Ksar Taourirt einen umwerfenden Blick auf die weite Oase unter mir, den mittleren Atlas vor mir, hinter mir die breite flache Ebene, abgeschlossen durch den unwirklich in der Sonne flimmernden Gebirgsstock Jebel Sarhro.

Bevor ich ins Tal abfahre, unterhalte ich mich eine Weile mit dem Berber, der hier mit seinem Dromedar steht, ich soll ihn unbedingt mit nach Timbuktu nehmen. Die Fahrt durch die Oase ist ungemein abwechslungsreich. Frauen waschen in einem Bachlauf, Männer reiten auf Eseln, Gemüsefelder dehnen sich unter dem Dach der Dattelpalmen. Jenseits des Tales schiebe ich das Rad zu einem Lehmweiler hinauf und radle auf staubiger Piste durch kahle Dörfer unter einer gnadenlosen Sonne. Schließlich durchfahre ich die Oase nochmals und erreiche die Straße wieder beim Ausganspunkt. Ich gebe das Rad zurück und treffe dort einen jungen Mann, der recht gut Deutsch spricht. Er lädt mich in das Restaurant in welchem er Koch ist auf ein Glas Tee ein. Ich muss nicht lange auf ein Grande Taxi warten und bald bin ich am Eingang der tief in den Berg geschnittenen Todra Schlucht, der Todgha Gorges.

Ich miete mich für die Nacht im Hotel Etoile ein. Ein Spaziergang führt durch die gespenstisch enge Schlucht. Das Ende der Schlucht öffnet sich zu einer unendlichen kargen sonnendurchfluteten Landschaft. Ich klettere ein Stück auf einer fast senkrechten  Wand mit guten Haltegriffen im Gestein und mache mich schließlich auf den Rückweg. Den Tag beschließe ich mit einer schmackhaften vegetarischen Tajine, dem typischen Eintopf serviert im Tongefäß.

Der Weg – Tag 8: In den Schluchten des Dades

Mittwoch, 31.10.2001: Als ich am Morgen aufwache ist mir gar nicht gut – der Salat ist mir offensichtlich nicht bekommen, obwohl ich eigentlich einen sehr stabilen Verdauungstrakt habe.  Das große Gepäck habe ich gestern an der Rezeption abgegeben, so dass ich meine kleine Rundreise zu den Schluchten von Dades und Todra sowie zu den Oasen im Osten unbeschwert antreten kann. Am Busbahnhof kämpfe ich schon mit meiner Übelkeit. In einer knappen halben Stunde ist das Grande Taxi abfahrbereit, obwohl nicht jeder Sitzplatz besetzt ist. Kurz vor Skoura beginnt die wunderschöne Oase von Dades. Ich lasse mich absetzen. Im Hotel der ehemaligen Kasbah Ben Moro wird mir ein Tee serviert. Durch fruchtbares Land auf trockenem Boden gehe ich zum ausgetrockneten Flussbett. Majestätisch liegt auf der anderen Seite die Kasbah Amerhidil – bekannt von vielen Postkartenmotiven.

Hier sprechen mich ausnahmsweise zwei Mädels im Alter von vielleicht 14 Jahren auf Arabisch an. Ich lege die Hand ans Herz und begrüße sie mit Sabah El Cher (guten Morgen). Im Palmenhain muss ich mich übergeben, dann geht es mir allmählich  besser. Ich laufe die zwei Kilometer nach Skoira zurück  – und schon sitze ich im Sammeltaxi nach El Kelaâ am Rande des Tals der Rosen, erkennbar an den vielen Parfümgeschäften. Hier bekomme ich auch gleich Anschluss in die Kleinstadt Boumalne. Dort ist Markt und geschäftliches Treiben. Die Allradbusse werden randvoll mit Bauern aus dem Dades Tal gepackt, sie fahren zurück in ihre Bergdörfer. Ein Mann kümmert sich um meinen Weitertransport. Ich kann gerade noch eine Cola trinken, dann habe ich schon eine Fahrgelegenheit, im Sammeltaxi sind auch zwei Französinnen. Wir fahren ca. 20 Kilometer in das rotbraune Dadestal hinauf, passieren malerische Ksars (Dörfer) und Kasbahs (Wehrburgen). Unten im Tal schimmern grün die Oasen. Das Kasbah-Hotel im pittoresken Ait Arbi, eingebettet zwischen Gebirge und Oasen, macht einen guten Eindruck auf mich und ich entschließe mich die Nacht hier zu verbringen. Für umgerechnet 20 Mark habe ich ein geräumiges sauberes Zimmer mit eigener Dusche und WC.

Obwohl ich nichts gegessen habe, mache ich mich zu einer Wanderung durch eine kleine Schlucht auf. Ein Bub zeigt mir den Weg.

Manchmal muss ich richtig klettern – bin auf seine Hilfe angewiesen. Ich werde durch einmalige Ausblicke belohnt. Kinder fischen in einem Bach

Ich denke an meine Kindheit und gebe meinem kleinen Helfer ein fürstliches Trinkgeld. Sogar in diesem einsamen Ort gibt es eine Telefon-Boutique und ich kann meine liebe Frau daheim anrufen. Abends genehmige ich mir dann doch eine Suppe. Die zwei Brüder vom Hotelpersonal unterhalten mich mit ihren Trommeln, die sie zwischen die Beine geklemmt haben. Ich fühle mich wieder bärenstark. Auch meine Rückenschmerzen haben sich verabschiedet.

Der Weg – Tag 7: Zurück in der „Zivilisation“

30.10. 2001: Heute erlaube ich mir mit dem erstaunlich großen Rest an Mineralwasser eine große Morgentoilette. Nach dem letzten gemeinsamen Frühstück brechen wir auf in Richtung Camp am Rande der Stadt M’hammid welches wir in einer knappen Stunde erreichen.

Barik spielt auf seiner aus einem Motorenölkanister gebastelten Gitarre ein Abschiedslied für mich. Ein Peugeot-Taxi wartet auf mich. Durch das Draa-Tal mit seinen Dattelpalmen, so grün als hätte es erst kürzlich geregnet (dabei ist der Regen schon seit Jahren ausgefallen) geht es flott zurück nach Zagora. Der Siebensitzer füllt sich, zeitweise sind neun Erwachsene plus einige Kinder im Auto – Vorgeschmack auf Schwarzafrika. Ein Mädchen kotzt in eine Plastiktüte. Im Laden hole ich meinen schweren Rucksack ab und ein junger Mann bringt mich mit seinem klapprigen Kleinwagen zum Busbahnhof. Während ich auf den Bus warte genieße ich den Blick auf das Gewusel um mich herum, besonders beeindruckt bin ich von den schlank gewachsenen Berberfrauen  in ihren schwarzen Umhängen. Meine Rückenschmerzen sind wie weggeblasen. Bald ist der Bus bis auf den letzten Platz besetzt und die Reise kann beginnen. Neben mir sitzt ein französisches Ehepaar mit zwei kleinen Mädchen. So weit das Auge reicht reihen sich die Dattelpalmen dazwischen erheben sich mächtige Kasbahs und Lehmdörfer sind in Täler eingebettet. Die Lehmbauten erfordern einen enormen Aufwand, müssen permanent gepflegt und ausgebessert werden. Das Sammeltaxi entlässt mich in Ouarzazate vor dem Hotel Royal und ich bekomme wieder das gleiche Zimmer wie vor einigen Tagen. Die ehemalige Kasbah Tifoultoute auf einem Hügel am Rande der Stadt zu der ich spaziere ist mittlerweile ein vornehmes Hotel. Auch hier wurden Szenen für „Lawrence von Arabien“ gedreht. Als ich zu meinem Hotel zurück gehe ist es bereits stockdunkel. Der Vollmond lugt nur selten hinter den Wolken hervor. Im angesagten Hotel El Salam gönne ich mir ein hervorragendes Dinner mit viel Salat.    

Ich möchte diesen Abschnitt nicht ohne einen Blick in mein Buch schließen:

„….Ist es mir auch verwehrt, mit einer Karawane nach Timbuktu zu ziehen, so möchte ich hier am „Tor zur Wüste“ dem Mysterium Sahara wenigstens etwas näherkommen. In der etwa 100 km entfernten Ortschaft M’hammid will ich mir Kamel und Führer suchen. Dort beginnt die ursprüngliche Sahara. In einem Berbercamp, einer Ansammlung großer Stoffzelte am Rande der Kleinstadt, treffe ich Barik, einen 23jährigen im Outfit der „Blauen Männer der Wüste“. Er ist bereit, mit mir einen dreitägigen Wüstentrip zu unternehmen. So trotten wir gemeinsam mit dem Dromedarbullen Hassan hinaus in die Dünenlandschaft einer der größten Sandwüsten der Welt. Diese Tage unter der glühenden Sonne Afrikas werden mir immer im Gedächtnis bleiben. Barik, Hassan und ich begegnen tagelang keinem einzigen Menschen. Wir sprechen nicht viel. Mittags rasten wir im Schatten einer Düne, nachts ruhen wir  in einer Stille, die so tief ist wie der Himmel weit. Die silberne Mondscheibe, das Funkeln der Sterne. Schritt für Schritt ziehen wir in die Unendlichkeit, und doch sind wir ganz bei uns….“ Wolfgang Stoephasius: In siebzig Jahren um die Welt. Der meistgereiste Deutsche erzählt seine größten Abenteuer ©2016 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Der Weg – Tag 6: Die große Freiheit des Nomaden

Montag, 29.10. 2001: Auf der mitgeführten vom Camp zur Verfügung gestellten Matratze und im warmen Schlafsack habe ich hervorragend geschlafen. Mein erster Weg führt auf die nächstgelegene Düne, um den Sonnenaufgang zu schauen, der aber quasi nicht stattfindet. Die weiße Scheibe am Horizont löst sich völlig unspektakulär aus dem Dunst. Ich bin mit Rückenschmerzen und einer hartnäckigen Bronchitis von München losgereist. Gegen die Schmerzen, die einfach nicht weichen wollen, schmeiße ich mir nun eine Diclofenac ein und die trockene Luft hat den Husten förmlich weggeblasen. Nach einer absoluten Katzenwäsche mit Feuchttüchern setzte ich mich zu Barik, der inzwischen das Frühstück zubereitet hat. Er ist zur Freude unseres Dromedarbullen Hasan kaum etwas, denn dieser bekommt das restliche Brot ab. Das Beladen erträgt er kommentarlos, beim Aufstehen kommt dann der Protest in Form des obligatorischen Grunzens.

Begleitet von lästigen Fliegen marschieren wir durch eine flache von Vulkangestein bedeckte Ebene. Schließlich erreichen wir eine Dünenlandschaft über welche jedes Jahr die Rallye Dakar führt. Einige Jahre später, 2008, wird sie wegen Terrorgefahr abgesagt und ab 2009 in Südamerika abgehalten.

Wir bleiben bei einem Kamelgerippe stehen und lassen uns hinter einer Erhebung zur Mittagspause nieder.

Es gibt wieder diesen schmackhaften Salat, den ich schon vom Vortag kenne. Während der Siesta schaue ich einem kleinen schwarzen Vogel mit weißem „Hut“ und weißen Schwanzfedern zu, der um uns herumschwirrt. In einer Palmoase haben Männer in blauen Gewändern ihr Lager aufgeschlagen.

Die Sonne brennt auf uns herab und ich bin froh, dass wir bald unser Lager aufschlagen. Barik bereitet Tajine, das klassische marokkanische Eintopfgericht zu, während ich mich mit dem mitgeführten Mineralwasser dusche und Tagebuch schreibe. Bald nach Sonnenuntergang löscht er die Gaslampe und ein dreiviertel voller  Halbmond erhebt sich über uns. Ich dämmere im Halbschlaf hinüber in das Land der Träume. Als ich mitten in der Nacht aufwache, ist der Mond verschwunden und ein glitzerndes Firmament erhebt sich über mir. Dieser Blick in ein Meer blinkender Sterne ist nur ein winziger Ausschnitt unseres Universums, nach den neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen eines von vielen. Wie viele Planeten, die unserer Erde ähnlich sind, wird es da draußen geben. Ob es dort, entfernt in Millionen von Lichtjahren, noch Leben gibt? Und da draußen soll es einen Gott geben, der sich persönlich um mich kümmert? Für mich erscheint es absurd,   dass unser winziges Menschen-Hirnlein das Wunder von Universum und Schöpfung ergründen kann, dass Religion nur ein Erklärungsversuch sein kann. Ich gebe mich diesen Gedanken hin und dämmere dem Morgen entgegen.

Der Weg – Tag 5: Ein Führer, ein Kamel und ich

Sonntag, 28.10. 2001: Trotz des halb offenen Zeltes schlafe ich himmlisch und werde nur kurz vom Ruf des Muezzins geweckt, schlummere weiter. Nach 6:30 Uhr schäle ich mich aus dem Schlafsack, mache am Brunnen Morgentoilette und packe den Bedarf für die nächsten Tage in den kleinen Rucksack. In der Nacht habe ich zwei Nachbarn bekommen, Franzosen mit einem Allradfahrzeug. Sie wollen sich in Agadir mit einer Gruppe treffen und weiter nach Mauretanien. In dem kleinen Cafe an der Straßenkreuzung nehme ich ein kleines Frühstück mit Baguette, Butter, Marmelade und Milchkaffee. Der große Rucksack bleibt im Souvenirladen. Die Leute vom Laden halten ein Grand Taxi an und schicken mich auf den Weg nach M’hamid, eine kleine etwa 100 km entfernte Oasenstadt. Bei einem Stopp in dem Städtchen Tagounite kaufe ich mir eine Palette Wasser. Der Fahrer füllt auf archaische Art aus einem Fass Öl nach. War ich zunächst alleine im Fahrzeug, kommen nun weitere Fahrgäste hinzu, einige im westlichen Outfit, andere in der Djellaba, dem Nationalgewand der Berber. Der Mercedes  wird durch Kurzschließen der Kabel gestartet. Kurz vor M’hamid ist ein Kamelcamp.

Dort steige ich aus dem Wagen und werde von Barik, meinem  freundlichen 24-jährigen Führer für die kommenden Tage erwartet. Er spricht ganz gut französisch und „In Schallah“. Ab heute heiße ich Ali.

Hassan, der Kamelbulle wird beladen, meine Uhr verschwindet im Rucksack, nun lebe ich nach dem Stand der Sonne. Unter leichtem Protest erhebt sich Hassan und wir ziehen los.

Nach vielleicht eineinhalb stündiger Wanderung rasten wir im Schatten einer Düne. Rasch ist Hassan abgeladen. Barik geht übrigens sehr einfühlsam mit dem Tier um. Zum Lunch gibt es einen schmackhaften Salat aus Oliven, Paprika. Gurken und Tomaten, dazu Fladenbrot und Pfefferminztee, der mehrmals zwischen Kanne und Tasse hin und her geschüttet wird. Nach einer längeren Siesta wird Hassan wieder beladen und gibt beim Aufstehen durch beleidigtes Grunzen zu verstehen, dass er eigentlich gar keine Lust hat weiterzuziehen. Die Sonne wirft schon lange Schatten, als wir weiter durch die einsame Dünenlandschaft wandern. Zweimal begegnen wir Beduinen auf ihren Kamelen. Barik läuft barfuß auf dem steinigen Boden. Ich bin froh, dass ich die festen Turnschuhe anhabe. Zwischen Dünen wird das Nachtlager aufgeschlagen. Zum Sonnenuntergang steige ich auf eine Düne. Die Sonne verschwindet völlig unromantisch als gleißende Scheibe im Dunst des Horizontes. Inzwischen bereitet Barik auf dem Gaskocher den traditionellen Tee zu und summt als ich zurück bin mit erstaunlich guter Stimme „Ali wird Inschallah gut in Timbuktu ankommen“. Er serviert schmackhaften Couscous, isst selbst sehr wenig. Den Rest des Mahles bekommt Hassan. Ich rolle mich bald in meinen Schlafsack, schlafe wie ein Baby auf der kuscheligen Matratze, welche zu Hassans Gepäck gehört, unter einem strahlenden Sternenhimmel, so wie ihn nur die Nächte der Wüste kennen.

Der Weg – Tag 4: Zagora – das Schild

Samstag, 27.10. 2001: Es ist noch tiefe Nacht, als ich aus dem Haus gehe, schleppe mich mit meinem eigentlich viel zu schweren Rucksack ab. Der CTM-Bus soll angeblich um 4:30 Uhr abfahren. Ich stehe mutterseelenalleine am gare routière, fühle mich verloren. Aber tatsächlich rollt der bereits gut besetzte Bus kurz nach Halb ein. Ich döse vor mich hin, als der Bus durch die Ausläufer des Djebel Sarko rollt. Bei der „roten Stadt“ Agdz geht die Dämmerung in den Tag über. Als wir durch das Draa-Tal mit seinen grünen Dattelpalm-Plantagen fahren, bin ich endgültig wach. Es hat in der Gegend bereits seit vier Jahren nicht mehr geregnet, erzählt mir mein Sitznachbar. Für mich grenzt es an ein Wunder, dass die Palmenhaine noch so saftig grün scheinen: die traditionelle Bewässerungstechnik funktioniert beeindruckend. Nach dreistündiger Fahrt rollt der Bus in der Kleinstadt Zagora ein.

Mir fällt ein einsamer Mann auf der ständig mit seinen Händen vor seinem Gesicht herumfuchtelt. Ein Verrückter? Als ich aus dem Bus steige, kenne ich den Grund und fange auch an, um mich zu schlagen, tausende von Fliegen stürzen sich auf ihre Opfer. Meiner Recherchen im Internet haben ergeben, dass in diesem Ort noch immer das Schild aus den Träumen meiner Kindheit steht. Ich stelle den Rucksack in einem Souvenirladen unter und mache mich zunächst auf Orientierungsrundgang, wie von Geisterhand weggewischt, sind die Fliegen verschwunden. Vor der Polizeistation steht tatsächlich das Schild „Tombouctou 52 Jours“.

Wie lange werde ich wohl für die Reise brauchen? Wenn ich auch nicht auf dem Kamel nach Timbuktu reiten kann, möchte ich zumindest von hier aus etwas vom Spirit der Wüste spüren und lasse mir von den Leuten im Laden eine dreitägige Kameltour ausarbeiten. Im sogenannten Campingplatz wird für mich unter Dattelpalmen ein einsames Zelt aufgebaut, das Quartier für die heutige Nacht. Auf meinem Rundgang durch den Ort muss ich mich immer wieder durch eine aufdringliche Kinderschar kämpfen. Vom Djebel, dem Hügel neben der Stadt, beobachte ich einen unspektakulären Sonnenuntergang. Der Reißverschluss von meinem Zelt ist defekt und ich überlege schon, ob ich das mitgeführtes Moskitonetz aufspannen soll, lasse es dann doch bleiben und genieße eine ruhige Nacht unter den Palmen, deren Blätter mich sanft unter einer kleinen Briese schaukelnd in den Schlaf wiegen.

Der Weg –Tag 3: Über den Hohen Atlas und Begegnung mit dem Schlangenbeschwörer

Freitag, 26.10. 2001: Irgendwelche Nachbarn sind irre laut, so dass ich schon vor dem Ruf des Muezzin wach bin. In Ruhe richte ich mein Gepäck her, frühstücke gemütlich im ersten Stock meines persönlichen Lieblingsrestaurants, dem „Toubkal“. Mit dem preiswerten Petit Taxi, einem beigefarbenen Kleinwagen, der maximal drei Passagiere befördert, geht es zum Busbahnhof, dem Gare routière. Es bleibt mir gerade mal eine halbe Stunde Zeit und um 9:30 Uhr rollt der MAN-Bus von Prince Tours aus der Stadt. Im vollen Bus sitzt ein dünnes altes Männlein neben mir. Das ist mir lieber, als ein dicker Geschäftsmann. Die Straße windet sich durch braune Landschaft hinauf zu den Pässen des Hohen Atlas. In Taddert, nicht weit unterhalb des Tizi n‘ Tichka Passes ist Mittagspause. Ich begnüge mich mit einem  Glas von dem köstlichen grünen Tee mit frischer Minze, dem thé à la menthe. Bald sind die 2260 Meter erklommen und es geht flott bergab. Wir passieren ein breites Eingangstor und bereits um 14 Uhr sind wir am Busbahnhof von Ouarzazate der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz.

Nun heißt es erst einmal den Schleppern zu entkommen und mit dem Petit Taxi geht es zum Hotel Royal. Für das winzige Zimmer zahle ich ebenso winzige 7 Mark. Die Toilette ist zwar auf dem Gang, hat aber sogar eine europäische Sitz-Toilettenschüssel. Ich habe den ganzen Nachmittag Zeit und ich leiste mir den Luxus für umgerechnet 40 Mark ein Grand-Taxi, eine siebensitzige Mercedes-Limousine zu chartern. Wir passieren die kitschigen Atlas Filmstudios. An einer Straßenkreuzung winkt ein älterer Mann.

Hierzu ein Blick in mein Buch:„Mein Ziel aber sind die Wüsten Afrikas. Mit dem Bus geht es auf kurvenreicher Straße über den Atlas, hinüber nach Quarzazate, einen Dreh- und Angelpunkt im Land der Oasen, dem Draa-Tal. Etwa 25 Kilometer entfernt liegt ein befestigtes Wehrdorf aus Lehm, die Kasbah Ait Benhaddou, welche vielen berühmten Filmen, so auch „Lawrence von Arabien“,  als Kulisse gedient hat. Um dorthin zu kommen, muss ich mir ein Taxi mieten. Diese großen Mercedes-Limousinen verkehren normalerweise als Sammeltaxis. So ist es kein Wunder, dass ein älterer Berber an einer Straßenkreuzung versucht den Wagen anzuhalten. Der Fahrer macht Anstalten, weiterzufahren, da ich den vollen Preis bezahle. Ich bitte ihn, anzuhalten, und der Mann nimmt dankbar auf der Rückbank Platz, einen runden Bastkorb auf den Knien. Ich meine, ein Geräusch zu hören, eine Bewegung, ein Rascheln, und wende mich um. Der Taxifahrer übersetzt meine Frage: Ob ich wissen dürfe, was sich in dem Korb befinde. Das Lächeln des Berbers hat etwas Schelmisches.

„Eine Kobra“, übersetzt der Fahrer seine Erwiderung. „Dieser Mann hier ist Schlangenbeschwörer.“ Als der Alte sich anschickt, den Deckel anzuheben, bedeute ich höflich, das sei nicht nötig.

Gegenüber der Kasbah, einer mächtigen Burganlage, steigen  wir aus – und der freundliche Alte gibt mir als Geste der Dankbarkeit eine Privatvorstellung. Er lässt die mächtige Kobra aus ihrem Korb gleiten und diese bewegt sich tänzelnd zum Klang der Flöte. Ich genieße das Schauspiel und vertreibe mir so die Zeit, bis die letzte Touristengruppe aus der Lehmstadt heruntergestiegen ist. Im Licht der untergehenden Sonne spaziere ich alleine durch die engen Gassen, plaudere mit Händlern, trinke mit ihnen Tee. Nun ist auch meine Seele in Afrika angekommen.

Erst viel später lese ich, anders als in Indien und Asien gelte es in Nordafrika bis heute als verfemt, Kobras den Giftzahn zu entfernen. Dort gehöre es zum Berufsethos vieler Beduinen, mit dem Tod in Händen zu leben. Ich denke an das wettergegerbte, von tiefen Falten durchzogene Gesicht des  Beduinen. Man sagt, der Tod habe viele Gesichter. Dieses hat mir gefallen.“          Wolfgang Stoephasius: In siebzig Jahren um die Welt. Der meistgereiste Deutsche erzählt seine größten Abenteuer ©2016 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Die Szene mit dem Schlangenbeschwörer spielt sich vor einem Cafe ab. Auf der anderen Seite einer Talsenke liegt die malerische Kasbah Ait Benhaddou. Plötzlich öffnet sich die Tür des Lokals und eine Horde Touristen drängt sich heraus, Kurs Kasbah. Den Reisebus hinter dem Lokal habe ich übersehen. So „fliehe“ ich erst mal in das Lokal und lege ein spätes Mittagessen mit Omelette, Brot und Wasser ein. Zur Tür kommt ein holländisches Pärchen herein. Jeanette und Will waren in der Kasbah und sind vor Begeisterung hin und weg. Sie sind auch auf dem Weg nach Timbuktu, haben aber noch kein Visum für Mauretanien. Ob ich sie auf der Reise noch einmal treffen werde? Die Touris kommen zurück und mit Beginn der Dämmerung laufe ich hinüber in das pittoreske Lehmdorf, steige hinauf zum höchsten Punkt. Die Dorfbewohner grüßen freundlich, laden mich zum Tee ein. Als ich zurück komme, spendiert mir ein Händler ein Glas echten Whiskey. Der Ort gehört nun mir alleine.

Als es stockdunkel ist, besteige ich das Taxi, der Fahrer hat geduldig gewartet. Vor dem Zu-Bett-Gehen gibt es noch ein Grillhendl in einem Straßencafe in der Nähe meiner Unterkunft. Gute Nacht, morgen muss ich wieder früh raus. Der Bus für die nächste Reiseetappe geht um 04:30 Uhr.